Steve Jobs, Bill Gates, Jeff Bezos oder Elon Musk. Keine Tech-Ikone das 20. und des 21. Jahrhunderts wurde so schnell reich wie Sam Bankman-Fried, den Freund und Kollegen nur SBF nennen. Und niemand hat seinen Reichtum auch wieder so schnell verloren. In nur einer Woche stützten seine Kryptobörse FTX und Partnerfirmen wie Alameda Research in die Insolvenz. Das Vermögen von Bankman-Fried schmolz von mehr als 15 Milliarden US-Dollar auf quasi Null.
Das nach außen so wohl geordnet erscheinende FTX-Imperium entpuppte sich innerhalb weniger Tage als chaotisches Sammelsurium von Unternehmen, Kundengeldern und Finanzwetten, bei dem offenbar auch Sam Bankman-Fried den Überblick verloren hatte. Der tiefe Fall von SBF endete am 2. November 2023 mit einem Schuldspruch vor einem Strafgericht in New York – schuldig des Betrugs, schuldig der Geldwäsche, schuldig der Veruntreuung von Kundengeldern von über acht Milliarden Dollar.
Die zwölf Geschworenen glaubten dem einigen Krypto-König nicht, dass er nur den Überblick verloren und ein paar schlechte unternehmerische Entscheidungen getroffen hat. Sie sahen es als erwiesen an, dass SBF die Kundengelder seiner Kryptobörse FTX aus reiner Gier veruntreut hat, um damit zu spekulieren und eeinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren. Die Prozess-Beobachter überraschte, dass die zwölf Juroren keine fünf Stunden gebraucht haben, inklusive einer Essenspause, um zu einem Urteil zu kommen.
Am 28. März 2024 wurde auch das Strafmaß verkündet: SBF wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
SBF war am 12. Dezember 2022 auf den Bahamas verhaftet und anschließend an die Vereinigten Staaten ausgeliefert worden Einen Tag später wurden gegen ihn vor dem US-Bezirksgericht für den südlichen Bezirk von New York die Anklagen erhoben, unter anderem wegen Überweisungsbetrugs, Warenbetrugs, Wertpapierbetrugs, Geldwäsche und Verstößen gegen das Wahlkampffinanzierungsgesetz. Weitere vier Anklagen wurden im Februar 2023 bekannt gegeben. SBF wurde zwar wenige Tage nach seiner Verhaftung gegen eine Kaution von 250 Millionen Dollar freigelassen, unter der Bedingung, dass er bei seinen Eltern in Kalifornien wohnt. Doch am 11. August 2023 wurde seine Kaution wegen angeblicher Zeugenbeeinflussung widerrufen und er wurde wieder in Haft genommen. Nun ist absehbar, dass er viele Jahre hinter Gittern bleiben wird.
Wie alles begann
SBF wurde am 6. März 1992 mitten im Silicon Valley in Stanford als ältester Sohn der beiden Stanford-Juraprofessoren Barbara Fried und Joe Bankman geboren. In der Eliteschule Crystal Springs Uplands in Hillsborough südlich von San Francisco glänzte Sam Bankman-Fried vor allem im Mathe-Unterricht. Dabei erledigte er die Hausaufgaben nebenbei und konnte so viel Zeit mit Computerspielen (StarCraft, League of Legends) und dem Sammelkartenspiel Magic: The Gathering verbringen.
Mit seinen guten Schulnoten und dem wohlhabenden Elternhaus standen SBF die Türen einer angesehenen Elite-Universität an der Ostküste der USA offen. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) studierte er von 2010 bis 2014 Physik. In seinem ersten Studienjahr wurde er Veganer und organisierte eine Kampagne gegen die Massentierhaltung.
Start als ETF-Trader
Seine Karriere in der Finanzwelt begann Sam Bankman-Fried bei Jane Street Capital, einem Handelsunternehmen, das mit internationalen ETFs handelt. Jane Street ist eine eher unauffällige Hochfrequenzhandelsfirma im New Yorker Finanzdistrikt. Das Unternehmen war bekannt dafür, sich stets klügsten Studenten der Mathematik und Physik am MIT zu angeln. SBF absolvierte im Sommer 2013 dort ein Praktikum und war einer der wenigen, die für eine Vollzeitstelle wieder eingeladen wurden. Er wurde als Market Maker für den Handel mit globalen ETFs eingesetzt.
In einem sehr schmeichlerischen Porträt von SBF auf der Homepage des Risikokapitalgebers Sequoia Capital, das inzwischen nur noch über das Internet-Archiv abgerufen werden kann, heißt es: “Im Jahr 2017 lief alles großartig für SBF. Er war der Beste bei Jane Street. Er war ein Trader für Trader: Er beherrschte die Transaktionen so gut, dass andere ihm bei der Arbeit zusahen, so wie man einem Esport-Athleten beim Streaming auf Twitch zuschauen würde.”
Viel Geld machen – für die gute Sache
Der Autor des Porträts, Adam Fisher, betont in seinem Text mehrfach, wie sehr SBF dem Utilitarismus verbunden ist. Darunter versteht man eine zweckorientierte Nutzethik, die im Kern besagt, dass eine Handlung genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den aggregierten Gesamtnutzen, d. h. die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen, maximiert.
Um das Leid der Menschheit bestmöglich zu heilen, sollten die Menschen maximalen Reichtum ansammeln – mit dem Ziel, das Geld zu allergrößten Teilen zu spenden. “Earn to give”, lautet das Motto. “Es gibt keine wirklich effektiveren Wege, als sich durch Heldausgeben glücklicher zu machen”, hat SBF mal gesagt. “Ich will keine Jacht. Und Partys sind nicht mein Ding.“
In der Praxis setzte SBF seine utilitaristische Grundhaltung u.a. dadurch um, dass er die Hälfte seines Gehaltes an Wohltätigkeitsorganisationen spendete, darunter an das Centre for Effective Altruism und 80.000 Hours.
Auch später, als Multimilliardär und Chef eines großen Firmenimperiums fuhr er einen Toyota Corolla und trug bei Treffen mit ehemaligen Staatschefs oder Supermodels kein feines Tuch, sondern nur ein T-Shirt und Shorts. (Update 10. Oktober 2023: Im Gerichtsverfahren gegen SBF sagte seine Ex-Geliebte Caroline Ellison, die inzwischen Kronzeugin der Anklage ist, Bankman-Fried habe dies nur aus taktischen Gründen getan. Er habe einen schönen Dienstwagen gegen den Toyota Corolla getauscht, weil das “besser für sein öffentliches Image” gewesen sei. Auch Bankman-Frieds persönliches Aussehen, insbesondere seine wuscheligen Haare, seien ihm wichtig gewesen. Ellison kommentierte, dass er sich 2022 schlampig gekleidet, aber seine Haare für “sehr wertvoll” und wichtig für sein Narrativ gehalten habe.)
Großspender in Washington
Anders als viele andere Stars der Tech- und Kryptoszene strebte SBF keinen libertären Minimalstaat an, wie etwa der PayPal-Mitbegründer Peter Thiel. Er unterstützte auch nicht wie Thiel den rechten Flügel des politischen Spektrums, sondern wurde Großspender für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden (79).
Bankman-Fried war laut Open Secrets mit Spenden in Höhe von 39,8 Millionen Dollar der zweitgrößte Einzelspender der Partei im Wahlzyklus 2021-2022. Damit liegt er nur noch hinter George Soros (etwa 128 Millionen Dollar), aber vor vielen anderen großen Namen, darunter Michael Bloomberg (28,3 Millionen Dollar). Darüber hinaus hatte er versprochen, weitaus mehr für die Demokraten zu spenden. Im Mai 2022 sagte er voraus, dass er “mehr als 100 Millionen Dollar” zur Verfügung stellen würde und eine “weiche Obergrenze” von 1 Milliarde Dollar für die Wahlen 2024 habe Allerdings rückte Bankman-Fried von seinem Versprechen bereits drei Wochen vor der FTX-Insolvenz ab und bezeichnete gegenüber Politico diese Pläne als “dumm”.
SBF setzte aber nicht nur auf die linke Seite. Es wurden auch Republikaner von Bankman-Fried großzügig bedacht. So hat der Super-PAC “Senate Leadership Fund”, der sich für den führenden Republikaner Mitch McConnell einsetzt, nur wenige Tage vor der FTX-Insolvenz am 27. Oktober 2022 eine Spende in Höhe von einer Million US-Dollar durch die FTX-Gesellschaft West Realm Shires Services Inc. erhalten.
SBF soll sogar erwogen haben, Ex-Präsident Donald Trump eine riesige Summe anzubieten, wenn er den Versuch aufgeben werde, für eine zweite Amtszeit anzutreten, Das berichtete SBF-Biograf Micheal Lewis:
Große Nummer für karitative Zwecke
Seine ganz großen Ziele konnte SBF jedenfalls nicht als Trader bei Jane Street erreichen. Er wollte seinen finanziellen Spielraum erweitern, auch um seinen karitativen Aktivitäten eine größere Hebelwirkung zu verschaffen. Und er war dafür nicht nur bereit, ein großes Risiko einzugehen. Vermutlich hat er später dabei auch Gesetze gebrochen,
SBF begann schon zu Beginn seiner Karriere, sich mit Kryptowährungen zu beschäftigen – und bemerkte schnell eine Besonderheit: Der Bitcoin wurde damals in Japan und Korea zu einem deutlich höheren Preis gehandelt als in den USA. In der Theorie war das eigentlich nicht vorgesehen, aber die Kryptomärkte waren damals noch sehr ineffizient und nicht weltumspannend organisiert. Im herkömmlichen Aktien- und Derivatehandel nutzen Hochfrequenz-Dealer wie Jane Street bereits Preisunterschiede im Bruchteil eines Cents, um diese mit Arbitragegeschäften auszugleichen. Hier ging es aber nicht um Cent-Beträge, sondern um viele Dollar: Der Bitcoin wurde in dieser Zeit in Südkorea zu einem Preis von 15.000 Dollar gehandelt, in den USA war er schon für 10.000 Dollar zu haben.
Beim Verschieben von Kyrptowährungen zwischen Asien und den USA setzte SBF auf Gleichgesinnte aus der Effective-Altruism-Bewegung und gründete dafür die Firma Alameda Research. Anfänglich tauschte er Bitcoin im Wert von 50.000 US-Dollar um, um in Japan Gewinne aus den Kursunterschieden einzustreichen. Ihm zur Seite stand ein japanischer Doktorand aus EA-Community, der als Staatsbürger Japan in der Lage war, ein Konto bei der einzigen japanischen Bank zu eröffnen, die bereit war, gegen eine Gebühr die Transaktionen abzuwickeln, die die SBF bzw. Alameda Research durchführen wollten. Die Spanne zwischen Bitcoin in Japan und Bitcoin in den USA betrug zwar nur 10 Prozent, aber bei einem Ausgangsbetrag von 50.000 Dollar summierten sich die Gewinne.
Sam Bankman-Fried wollte jedoch ein größeres Rad in Bewegung setzen. Nach Angaben von Adam Fisher wollte SBF den Kapitalbetrag signifikant erhöhen. “Zu dieser Zeit lag das tägliche Gesamtvolumen des Kryptohandels in der Größenordnung von einer Milliarde Dollar. SBF wollte 5 Prozent davon für sich beanspruchen und suchte nach einem Darlehen in Höhe von 50 Millionen Dollar. Auch hier wandte er sich an die EA-Community. Jaan Tallinn, der Mitbegründer von Skype, stellte einen großen Teil dieser 50 Millionen Dollar zur Verfügung.”
Eine eigene Kryptobörse muss her
Bei der technischen Abwicklung der Geschäfte hatte Sam Bankman-Fried keine große Auswahl: Es gab quasi nur Coinbase oder Binance. Coinbase legte schon damals Wert darauf, von den US-Behörden reguliert zu werden, bot jedoch nicht die Art von Optionskontrakten und Derivaten an, die professionelle Händler zur Absicherung ihrer Wetten benötigen. Binance hingegen bot die Art von Derivaten an, mit denen SBF vertraut war, als er für die Jane Street handelte – aber als Unternehmen zog es ständig von Land zu Land, um sich jeglicher Gerichtsbarkeit zu entziehen. Und weder bei Coinbase noch bei Binance konnte man besonders gut professionell handeln.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass SBF auf den Gedanken kam, mit FTX eine eigene Kryptobörse zu gründen. Das Versprechen aus der Gründungs-Phase klingt nach dem Zusammenbruch von FTX durch mutmaßliche betrügerische Machenschaften geradezu grotesk. Zwar sei die Schwesterfirma Alameda nicht immun gegen die Machenschaften gewesen, die der Kryptowährung als Ganzes ihren schlechten Ruf eingebracht haben. Aber FTX hatte den Ehrgeiz, das zu ändern. Sie sollte die Börse sein, auf die sich die Händler verlassen konnten. SBF musste die Botschaft verbreiten. Er wollte, dass FTX als das seriöse Gesicht der Kryptowährung bekannt wird. Das erforderte Werbekampagnen, Sponsorenverträge, einen wohltätigen Flügel – und eine Kriegskasse, um das alles zu bezahlen.”
Die größte Sorge der Risikokapitalgeber wie Sequoia Capital schien nicht die Frage gewesen zu sein, ob sie ihr Geld jemals wiedersehen, sondern dass SBF mit seinen großen Alameda-Gewinnen finanziell so gut ausgestattet war, so dass er keine Finanzspritzen von Venture-Capital-Firmen mehr benötigte. Doch die Investoren bekam ihre Chance. Zu den Kapitalgebern für den Aufbau von FTX gehörten Sequoia Capital, Paradigm und der Ontario Teachers’ Pension Plan.
In dem inzwischen gelöschten SBF-Profil auf der Sequoia-Website heißt es: “FTX brauchte schließlich Geld. Und es brauchte dieses Geld aus glaubwürdigen Quellen, damit es sich weiterhin von den Abzockern unterscheiden konnte, die in die Kryptowelt kamen, um die Trottel zu schröpfen”, schreibt Fisher rückblickend in dem Stück, das am 22. September 2022 veröffentlicht wurde. Zwei Monate später kann man nur feststellen, dass FTX es zwar gelungen ist, innerhalb von drei Jahren zur zweitgrößten Kryptobörse der Welt aufzusteigen. Doch wer sein Geld FTX anvertraute, war letztlich schlecht beraten, denn nach dem Insolvenzantrag müssen die FTX-Kunden um ihre kompletten Ersparnisse fürchten.
CZ Changpeng Zhao: der große Gegenspieler
Doch wie konnte es zum Crash kommen? Diese Frage kann man nicht vollständig beantworten, ohne sich näher mit Binance und seinem CEO Changpeng Zhao zu beschäftigen. Der kanadisch-chinesische Geschäftsmann, der im Netz nur “CZ” genannt wird, ist einer der prominentesten Figuren in der Krypto-Branche. Binance ist nicht nur die weltgrößte Kryptobörse, sondern über die Konzern-Tochter Binance Labs ein sehr erfolgreicher Investor in andere Krypto-Unternehmen. 2019 wurde CZ auf die Pläne von Sam Bankman-Fried aufmerksam, mit FTX eine Kryptobörse zu gründen. Da FTX sich zunächst vor allem auf B2B-Kunden in den USA fokussieren wollte, sah CZ eine Investitionschance. Sechs Monate nach dem Start von FTX kaufte Zhao nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters 20 Prozent der Börse für etwa 100 Millionen Dollar. Zu dieser Zeit sagte Binance, dass die Investition “darauf abzielt, die Kryptowirtschaft gemeinsam wachsen zu lassen”.
Tatsächlich hatte CZ den richtigen Riecher. FTX wuchs rasant. Im Juli 2021 sammelte das Projekt von Sam Bankman-Fried 900 Millionen Dollar on über 60 Investoren ein, darunter Softbank, Sequoia Capital und andere Firmen. Damit wurde FTX damals mit 8 Milliarden Dollar bewertet. Für Binance-CEO Changpeng Zhao war damit der Zeitpunkt gekommen, bei FTX wieder auszusteigen. Ingesamt erhielt Binance Assets im Wert von 2,1 Milliarden Dollar, vor allem in Stablecoins, aber auch über 500 Millionen Dollar in der FTX-Hauswährung FTT. Das wurde Binance zu einem der größten Halter von FTT-Coins.
Ähnlich wie die Binance-Coin BNB bietet FTT den FTX-Kunden Rabatte bei den anfallenden Trading-Gebühren. Außerdem versprach FTX seinen Kunden, ständig wie bei einem permanenten Aktienrückkaufprogramm FTTs wieder vom Markt zu nehmen, um den Umtauschkurs zu unterstützen. FTX musste nun aber damit leben, dass sich relevante Bestände von FTT in der Hand eines Ex-Investors befanden, der nun vor allem als FTX-Rivale aufgetreten ist.
Streit und Krypto-Regularien
Zu den Spannungen zwischen Binance und FTX beziehungsweise zwischen CZ und SBF persönlich trugen auch Rivalitäten im Umgang mit den Folgen des “Krypto-Winter”, aslo den sinkenden Kursen für Bitcoin und Co sowie gescheiterten Projekten, bei. Mitte Mai 2022 crashte das Kryptoprojekt Terra/Luna und löschte Anlegervermögen in Höhe von rund 50 Milliarden Dollar aus. In dieser Zeit trat Sam Bankman-Fried immer häufiger als vermeintlicher Retter für in Not geratene Projekte auf. So griff FTX im Juli 2022 dem angeschlagenen Krypto-Unternehmen BlockFi mit 240 Millionen Dollar unter die Arme. Das in New Jersey ansässige Unternehmen BlockFi bietet seit März 2019 seinen Kunden die Möglichkeit, dem Unternehmen digitale Vermögenswerte zu leihen und dafür Zinsen zu erhalten. Der Dealt mit FTX umfasste auch eine Kreditvereinbarung über 400 Millionen Dollar für BlockFi.
Selbst wenige Wochen, bevor FTX selbst in Schwierigkeiten geraten sollte, traf SBF erneut als Weißer Ritter der Krypto-Branche auf: Am 26. September 2022 wurde der US-Ableger von FTX als Gewinner der Auktion für die digitalen Vermögenswerte des insolventen Krypto-Brokers Voyager Digital bekannt gegeben. Der Wert des Geschäfts belief sich auf etwa 1,42 Milliarden US-Dollar, einschließlich 1,31 Milliarden US-Dollar in von Voyager gehaltenen Kryptowährungen und 111 Millionen US-Dollar an zusätzlichen Gegenleistungen.
Binance-CEO CZ musste zum einen mit ansehen, wie sein Rivale als “Weißer Ritter” sich ein Projekt nach dem anderen einverleibte. Zum anderen fühlte sich Changpeng Zhao durch die Statements von Sam Bankman Fried zum Thema Regulierung provoziert. SBF erschien als Dauergast bei etlichen Kongress-Anhörungen zum Thema Kryptoregulierung. Dabei hat er sich auch für Regulierungen stark gemacht, die US-Bürger gegenüber ausländischen Unternehmern bevorzugen würden. Binance-CEO Changpeng Zhao wurde in China geboren, floh im August 1989 im Alter von 12 Jahren mit seinen Eltern nach Kanada und nahm dann die kanadische Staatsbürgerschaft an.
Blutgrätsche von SBF gegen CZ
In der Auseinandersetzung mit Sam Bankman-Fried dürfte Changpeng Zhao einen Seitenhieb in einem Tweet von SBF als persönliche Attacke und Grenzüberschreitung empfunden haben. In einem Battle um einen Auftritt von SBF in Washington, wurde der FTX-Gründer zynisch: “Ich freue mich schon darauf zu sehen, wie er (Changpeng Zhao) die Branche in DC in Zukunft vertreten wird! Er darf doch nach DC gehen, richtig?”
Sam Bankman-Fried spielte mit der rhetorischen Frage, ob CZ überhaupt in die USA einreisen dürfe, die Anti-China-Karte. Diese Art von Vorurteilen und schlechten Scherzen dürfte Changpeng Zhao wegen seiner chinesischen Herkunft in seinem Leben zwar schon öfters erfahren haben. Dass aber ausgerechnet ein Konkurrent ihn mit diesem Schlamm bewirft, dürfte CZ besonders geärgert haben. Und die Chance zur süßen Rache ergab sich schon wenige Tage später.
Am 4. November 2011 zogen auf Twitter die ersten dunklen Wolken für SBF und das FTX-Imperium auf: An diesem Tag erschien ein Bericht, in dem behauptet wurde, dass der Schwester-Hedgefonds von FTX, Alameda Research, insolvent ist und voraussichtlich das gleiche Schicksal erleiden wird wie das bankrotte Celsius Network.
Zu den Leuten auf Twitter, die den Tweet mit einem “Like”-Herzchen versahen, gehörte kein anderer als Changpeng Zhao. Zwei Tage später holte CZ den eigentlichen Knüppel aus dem Sack und kündigte auf Twitter an, dass Binance sich von seinen großen FTT-Beständen trennen werde, die Binance 2021 bei Verkauf seiner FTX-Anteile erhalten hatte.
Auf Nachfrage versicherte CZ auch noch, man habe keinem Wettberber schaden wollen.
Dass es CZ in diese Phase darum ging, den Schaden bei Alameda und FTX zu maximieren, sieht man auch an der Tatsache, dass er auf ein Rückkaufangebot für seine FTT-Bestände nicht einging. Die Chefin von Alameda, Caroline Ellison, erklärte auf Twitter, dass der Hedge-Fonds alle FTT-Coins zu einem Preis von 22 Dollar – dem aktuellen Handelspreis des Tokens – kaufen könnte, wenn CZ “die Auswirkungen auf den Markt für die FTT-Verkäufe [von Binance] minimieren” wolle.
Danach ging alles ganz schnell. Zunächst erklärte SBF, dass die internationale FTX-Gruppe nicht liquide sei, kurz danach war aber klar, dass auch Kunden der US-Tochter betroffen waren.
In dem inzwischen legendären Twitter-Thread “I fucked up, and should have done better.” vom 10.11.2022 räumte SBF auch seine persönliche Niederlage im Kampf gegen seinen Gegenspieler CZ ein:
“Irgendwann habe ich eventuell mehr zu einem bestimmten Sparringspartner zu sagen. Aber ihr wisst schon, Glashäuser. Also ich sag jetzt erstmal nur: Gut gespielt; du hast gewonnen.”
Der Tabu-Bruch
Ob das Konstrukt Alameda Research / FTX auch ohne das Mitwirken von Changpeng Zhao und Binance zusammengebrochen wäre, werden die Untersuchungen und das Strafgerichtsverfahren gegen SBF in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Es spricht vieles dafür, dass im großen Stil Kundeneinlagen bei FTX verschoben wurden, damit Alameda Research weiterhin im Hochrisiko-Bereich zocken konnte. Dabei wird auch zu klären sein, ob Sam Bankman-Fried dabei gegen Gesetze verstoßen hat und deswegen zu einer Haftstrafe verurteilt wird.
In einem am 16.11.22 von Vox veröffentlichten Interview sagte Sam Bankman-Fried, er bedauere seine Entscheidung, Konkurs anzumelden. Gleichzeitig kritisierte er die Regulierungsbehörden.
Nach der Veröffentlichung der DMs durch Vox erklärte Bankman-Fried auf Twitter, dass die Grundlage des Interviews nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.
In dem Interview sagte Bankman-Fried, dass diejenigen, die für das Konkursverfahren nach Chapter 11 von FTX verantwortlich sind, “aus Scham versuchen, alles niederzubrennen”, und dass er zwei Wochen Zeit habe, um 8 Milliarden Dollar aufzubringen und das Unternehmen zu retten.
“Das ist im Grunde alles, was für den Rest meines Lebens zählt (das Geld aufzutreiben)”, sagte er.
Sein größter Fehler sei “Chapter 11” gewesen, also die Anmeldung des Insolvenzverfahrens nach Kapitel 11. “Wenn ich das nicht getan hätte, würden in einem Monat die Abhebungen eröffnet werden und die Kunden wären vollständig entschädigt.”
Die Aufsichtsbehörden würden alles noch schlimmer machen, fügte er hinzu. “Sie schützen die Kunden überhaupt nicht”, sagte er.
Nachdem Vox das Interview veröffentlicht hatte, sagte Bankman-Fried, dass einige seiner Äußerungen “unbedacht oder übermäßig heftig” gewesen seien und dass er sich über etwas Dampf abgelassen habe, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei.
Ein Vox-Sprecher sagte, dass die gesamte Kommunikation mit Vox-Reportern öffentlich sei, es sei denn, das Thema und der Reporter hätten etwas anderes vereinbart.
“Unsere Reporterin ist in ihrer Twitter-Bio klar als solche gekennzeichnet, hat Sam Bankman-Fried zuvor interviewt und hat ihn in diesem Fall als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme per E-Mail darüber informiert, dass sie über ihren On-the-Record-Austausch schreiben wollte. Er hat in seiner Antwort vor der Veröffentlichung keine Einwände erhoben.”
Sam Bankman-Fried stellt sich einem Interview der New York Times
Sam Bankman-Fried hat am 30.11.2022 seine Zusage eingehalten, sich von Andrew Ross Sorkin von der New York Time interviewen zu lassen. SBF erschien auf dem DealBook Summit der NYT per Videoschalte. Der gefallene Krypto-Mogul beantwortete viele Fragen (und wich auch etlichen Fragen aus) über den Zusammenbruch seines Unternehmens im letzten Monat, ein milliardenschwerer Zusammenbruch, der Jahre dauern könnte, bis er vor dem Konkursgericht aufgeklärt ist. Die Tortur hat auch einen Großteil seines persönlichen Vermögens vernichtet. Während er sprach, wurde immer deutlicher, dass das verlorene Vermögen nicht wiederhergestellt werden kann. Letztendlich, so sagte er, habe er es “vermasselt”.
Er sagte, er habe nicht wissentlich FTX-Kundengelder mit denen von Alameda Research vermischt, dem Handelsarm der Börse, der als Market Maker für FTX agierte. Bankman-Fried bestritt, dass er wissentlich Betrug begangen habe. “Ich habe nie versucht, jemanden zu betrügen.” Er habe nicht erkannt, in welch gefährlicher Lage sich die Firmen befunden hätten, bis es zu spät gewesen sei. In dem gut eine Stunde dauernden Interview räumte der 30-Jährige ein, dass große Fehler gemacht worden seien. Dazu gehörte ein schlechtes, wenn nicht gar nicht vorhandenes Risikomanagement und keine Aufsicht zum Schutz der Kundenkonten.
SBF betonte, dass er die Wahrheit gesagt habe – oder dass er sich nicht bewusst gewesen sei, sie zu verbiegen. “Ich wüsste nicht, dass ich jemals gelogen hätte”, sagte er in dem Interview, und er sei “so ehrlich gewesen, wie es mir möglich ist.” Die politischen Spenden, die sich laut den Unterlagen auf 40 Millionen Dollar beliefen, seien nicht als Versuch gedacht gewesen, sich Zugang zu den Gesetzgebern zu erkaufen.
Der Wortlaut des Interviews steht auf der Website der New York Times.
Außerdem kann man sich das Interview auf YouTube anschauen:
Am 3. Oktober 2023 begann dann das Verfahren gegen SBF in New York. In den ersten zwei Wochen haben alle drei Mitglieder von Sam Bankman-Frieds “innerem Kreis” haben nun gegen den FTX-Gründer ausgesagt: Gary Wang, Mitbegründer von FTX und ehemaliger FTX-Manager, Caroline Ellison, ehemalige Geschäftsführerin von Alameda Research, die eine Zeit lang eine Liebesbeziehung mit Bankman-Fried hatte und mit ihm zusammenlebte, und Nishad Singh, der ehemalige technische Leiter von FTX, der sich wie Wang und Ellison auf einen Vergleich mit der Staatsanwaltschaft eingelassen hat.
Alle drei haben sich im Zeugenstand ähnlich verhalten: Sie hatten ihre Aussagen offenbar vorher geübt und beteuerten, dass der FTX-Gründer das Sagen hatte . Bei ihren Aussagen achteten sie darauf, nicht zu weit von dem eingeübten Skript abzuweichen. Die ehemaligen SBF-Vertrauten waren selbstbewusst, wenn sie der Staatsanwaltschaft Rede und Antwort standen, aber weniger geschliffen, wenn sie mit der Verteidigung konfrontiert wurden.
Jeder der Insider hat sich in seinen eigenen Anklagepunkten schuldig bekannt – was den Fall für Bankman-Fried, aber auch für ihre eigene Glaubwürdigkeit erschwert; wenn sie in der Gunst der Staatsanwaltschaft bleiben, könnte ihnen eine mildere Strafe zuteil werden. Zwei von ihnen, Nishad Singh und Gary Wang, sagten aus, dass sie hofften, keine Gefängnisstrafe zu bekommen.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Bankman-Fried beruht auf einer einfachen Abfolge von Ereignissen: Er nahm das Geld der Kunden an, obwohl er versprochen hatte, es nicht zu tun – und verlor es dann ganz. Es ist eine knappe Geschichte, und Bankman-Frieds Verteidiger haben sich schwer getan, auch nur den Anschein einer Erzählung zu erwecken, um sie zu widerlegen.
Die harten Fakten des Falles in Verbindung mit den Schuldbekenntnissen und den Aussagen von Insidern (mindestens fünf ehemalige Angestellte haben für die Staatsanwaltschaft ausgesagt oder werden noch vor Ende des Prozesses aussagen) haben es Bankman-Frieds Anwälten schwer gemacht, einen überzeugenden Fall zu präsentieren.
Das Verteidigungsteam von Bankman-Fried unter der Leitung von Rechtsanwalt Mark Cohen verfolgte die Strategie, bestimmte Kernfakten der FTX-Saga zumindest umzudeuten, wenn sie schon nicht bestritten werden können. Was wäre, wenn alles, was Bankman-Fried getan hat, in den Worten von Cohens Eröffnungsrede “völlig vernünftig” war?
Sam Bankman-Fried bestand darauf, selbst in den Zeugenstand zu treten und nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Die Entscheidung, selbst auszusagen, hat ihm allerdings nicht geholfen, sondern massiv geschadet – auch weil die Staatsanwaltschaft ihn im Kreuzverhör immer wieder in Bedrängnis bringen konnte. Geradezu genüsslich zitierten die Anklagevertreter vor Gericht aus Tweets von SBF und Werbeaussagen von FTX, um Behauptungen von Bankman-Fired vor Gericht zu widerlegen. Ein Beispiel: Eine Staatsanwältin wollte von SBF wissen, ob er jemals FTX gegenüber der Öffentlichkeit als sichere Börse dargestellt habe. Der Angeklage konnte darauf nur sehr ausweichend antworten. Daraufhin präsentierte die Staatsanwältin eine Werbeanzeige von FTX, in der genau das behauptet wurde. Und solche Widersprüche gab es mehrfach.
SBF sagte in dem Kreuzverhör auch 140 Mal, dass der sich nicht erinnern könne. Auch dieses ausweichende Verhalten dürfte bei der Jury keinen guten Eindruck hinterlassen haben.
Kaum eine Rolle hat in dem Prozess die Tatsache gespielt, das überhaupt noch nicht klar ist, wie viel Geld bei dem FTX-Crash verloren gegangen ist. Die Rede ist immer von acht bis zehn Milliarden US-Dollar. Allerdings hat die neue FTX-Führung einen Teil der verloren geglaubten Token und andere Werte wieder sichern können. In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass Sam Bankman-Fried auch geniale Unternehmensentscheidungen getroffen hat. Im April 2022 hat SBF rund 530 Millionnen Dollar in das KI-Startup Anthropic investiert. Erst deutlich nach SBF haben auch Amazon und Google Milliarden Milliarden in die aufstrebende Firma gesteckt. “Das heißt, die Bewertung dieses Startups ist immens gestiegen und damit möglicherweise auch die Aussichten der betroffenen Opfer, FTX-Opfer, doch große Teile ihrer Investments wiederzusehen”, sagt Marcel Rosenbach, der Krypto-Experte des “Spiegel”.
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